Der Mensch als Datenautobahn
Von Christian Ströh www.spiegel.de
Das elektrische Feld unserer sterblichen Hüllen eignet sich prima zur Datenübertragung - das erkannte IBM bereits Mitte der neunziger Jahre. Diverse Firmen wollen dem "Human Area Networking" nun zum Durchbruch verhelfen.
Handschlag: Kontaktdaten gleich mit übertragen
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Handschlag: Kontaktdaten gleich mit übertragen
Hurra, es ist so weit: Der menschliche Körper wird zum Computerzubehör. Bedanken können wir uns bei einem Phänomen, das esoterisch Gestimmte längst von den lustigen Aura-Fotografien kennen. Ein Strahlenkranz umgibt da die Mami - ob man von diesen schrulligen Schnappschüssen auf die inneren Werte eines Lebewesens schließen kann, bleibt strittig.
Doch eines ist amtlich: Jeder Mensch ist von einem elektrischen Feld umgeben. Und das kann man nutzen, um Daten weiterzuleiten. Während Bluetooth, ZigBee und "Near Field Communication" (NFC) darauf abzielen, Datenverbindungen im Umkreis weniger Meter zu ermöglichen, schließt die neue Technologie die letzte, unmittelbare Lücke: die zwischen Mensch und Maschine.
Die Vorteile liegen - im wahrsten Sinn des Wortes - auf der Hand: Fleißiges Schulterklopfen und Händeschütteln könnten zukünftig genügen, um auf Messebesuchen Anschriften und Telefonnummern zu sammeln. Das mühselige Übertragen von Visitenkarten-Informationen in das eigene Smartphone entfällt. "Im Grunde emulieren wir mit solchen Tätigkeiten extrem langsame Netzwerk-Verbindungen. Und verschwenden dabei beträchtliche mentale Ressourcen", findet Thomas G. Zimmerman vom IBM Almaden Research Center.
Er sollte es wissen, beschäftigt er sich doch seit fast zweieinhalb Jahrzehnten mit der Interaktion zwischen Mensch und Computer. Zimmerman arbeitete für Atari, bevor er einige Firmen gründete, darunter den "Virtual Reality"-Pionier VPL, zusammen mit dessen späterer Galionsfigur Jaron Lanier.
Zufallsfund beim Cello-Spiel
Hier entstand seine erste legendäre Erfindung: der Datenhandschuh, der es erstmals ermöglichte, mit der Welt hinter dem Bildschirm vergleichsweise direkt in Kontakt zu treten. Es stellte sich allerdings relativ schnell heraus, dass nur wenige Menschen bereit sind, eine Viertelmillion Dollar für stereoskopische, aber doch eher schlichte Bilderwelten auszugeben.
Talking Goods: Die berührte Ware sendet Daten ans Handy, die das Display anzeigt
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Talking Goods: Die berührte Ware sendet Daten ans Handy, die das Display anzeigt
Und so wechselte Zimmerman nach dem jähen Ende des Cyberspace-Hype zum renommierten Media Lab des Massachusetts Institute of Technology. In der hier ansässigen "Physics and Media Group" hatte er sein Schlüsselerlebnis: Man suchte nach einer Möglichkeit, das Spiel des Cellisten Yo Yo Ma exakt zu analysieren und setzte hierfür winzige Antennen auf das Cello und den Bogen. Ein Paar dieser Antennen bildet einen Kondensator, die Bewegungen des Bogens ändern dessen Kapazität. Und durch die Messung der Kapazitätsänderung ließ sich die Position von Mas Bogen exakt registrieren - im Grunde wurde er dadurch zu einer Computermaus.
Zimmerman stellte jedoch fest, dass Mas Hand Interferenzen erzeugt, die die Messungen störten. Er füllte kurzerhand einen Gummihandschuh mit Hackfleisch, um dieses Phänomen genauer zu untersuchen - Forschung kann so einfach sein. Und er entdeckte, dass sich der menschliche Körper mit relativ geringem Aufwand in eine Antenne verwandeln lässt. Das "Personal Area Network" war damit erfunden.
"Das PAN hat viele Vorteile gegenüber anderen Technologien", so Zimmerman. "Radiowellen sind störanfällig, können leicht abgehört werden, die Anzahl an Frequenzen ist begrenzt, die Lizenzierung kompliziert. Infrarot-Schnittstellen benötigen Sichtkontakt."
Technik schon 2006 marktreif?
Kein Wunder also, dass die Idee, den Mensch zur Schnittstelle zu machen, immer mehr Firmen auf den Plan ruft. Was IBM - wo Zimmerman seine Entdeckung weiter entwickelte - das PAN, ist dem japanischen Telekommunikationsriesen NTT das HAN ("Human Area Network"). Auch das Frauenhofer Institut hat so was im Angebot und nennt es BAN ("Body Area Network"). Und die Firma Ident Technology im bayerischen Weßling will mit "Skinplex" ebenfalls mitmischen.
NTT hat offenbar Vorsprung: In wenigen Wochen schon will man breit angelegte Feldversuche des "Human Area Network" starten. Den Forschern zufolge könne die Technik 2006 marktreif sein - wenn die Entwicklung wie geplant verlaufe.
ZUM THEMA IM INTERNET
IBM Almaden Research Center: Personal Area Network
RedTacton: Human Area Network von NTT
Fraunhofer-Projekt Body Area Network
Skinplex der Firma Ident Technology
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Die Anwendungsmöglichkeiten beschränken sich natürlich nicht auf das Telefonnummernsammeln bei Messebesuchen. NTTs System, "RedTacton" getauft, ermöglicht Übertragungsraten von bis zu zehn Megabit pro Sekunde. Zum Vergleich: Selbst eine asynchrone Bluetooth-Verbindung schafft nur etwas über 700 Kilobit pro Sekunde. So könnten MP3-Player auch drahtlose Stereo-Köpfhörer versorgen - Standard-Bluetooth-Geräte schaffen nur Mono-Übertragungen.
Es dürfte aber auch bald Kettensägen geben, die nur von ihrem Besitzer bedient werden dürfen. Und das auch nur, wenn der tatsächlich beide Hände an das Gerät gelegt hat. Türen öffnen sich durch Handauflegen, Bilder der Digitalkamera werden durch Streicheln eines Farbdruckers zu Papierabzügen.
PINs und TANs beim Anrempeln ausspähen
Aber NTT hat noch weitreichendere Pläne: Da ihre Technologie die Feldeffekte misst und nicht auf einen elektrischen Leiter angewiesen ist, funktioniert RedTacton auch dann, wenn der Transceiver nicht direkten Kontakt mit der menschlichen Haut hat. Selbst elektrisch neutrale Materialien wie Glas, Holz oder Kunststoffe lassen sich so zu Datenleitern umfunktionieren. Und was außerhalb des menschlichen Körper funktioniert, funktioniert auch innerhalb: Die Reise ins Ich und damit völlig neue Operationsverfahren könnten die Folge sein. Selbst Datenkommunikation unter Wasser soll RedTacton ermöglichen.
Fragt sich eigentlich nur, was die Datenschützer dieser Welt davon halten werden. Denn genauso, wie man durch "Bluesnarfing" die Daten von fremden Handys via Bluetooth ausgelesen und kopieren kann, dürfte es auch kein Problem sein, PAN, HAN oder BAN zu knacken. Und es wäre doch schade, wenn man durch ein simples Anrempeln in der U-Bahn gegebenenfalls seine Krankengeschichte, Bankverbindungen, Telefonnummern und sämtliche PINs und TANs los wird...